Schule in Österreich
Helmut Engelbrechts letztes Werk posthum erschienen
Im Mai ist ein halbes Jahr nach dem Tod unseres Ehrenobmanns Helmut Engelbrecht posthum sein letztes Werk erschienen. Er schrieb darin über die Entwicklung der Schule in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart, quasi als sein wissenschaftliches Vermächtnis eine kurze Zusammenfassung seines Standardwerks „Geschichte des österreichischen Bildungswesens.“ Und er hat auch hier noch einmal mit der ihn zeitlebens auszeichnenden Akribie und Gewissenhaftigkeit gearbeitet, wie das fünfzehn Seiten umfassende Quellenverzeichnis beweist.
Bei der Entwicklung des Schulsystems unterscheidet der Autor sechs Phasen: Im Mittelalter lag das Schulwesens in Österreich in den Händen der Kirche, daher nennt er sie monastische Phase. Die Anfänge sind schlecht dokumentiert, doch gehen sie auf das 7. Jh. (Salzburg), bzw. 8. Jh. (Mondsee, Kremsmünster) zurück. Aufgabe der männlichen Ordensschulen war die Ausbildung der Mönche, Unterrichtssprache war Latein. Weibliche Ordensschulen versorgten adelige Damen, Domschulen bildeten den Weltklerus aus, für den einfachen Kirchendienst gab es Pfarrschulen. Manche von ihnen entwickelten sich ab dem 12. Jh. zu Lateinschulen. Spätestens mit der Reformation kam es zu einem Niedergang der Klosterschulen.
In der urbanen Phase wollten die Stadtbürger zunehmend unabhängig vom kirchlichen Schulwesen sein. Finanzstarke Städte wie Wien übernahmen die Schulen, um mehr Mitsprache zu haben. Im Spätmittelalter kamen deutsche Schulen auf, die für Handel und Gewerbe wichtig waren. Die Landschafts-Schulen der Protestanten führten zu einem Niedergang der Lateinschulen. Die Jesuitengymnasien der Gegenreformation bereiteten aber besser auf das Universitätsstudium vor. In der „teutschen schuell“ lernte man Lesen, Schreiben und Rechnen.
In der konfessionellen Phase, die nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 einsetzte, wurde Religion an die erste Stelle im Fächerkanon gesetzt. Die „Adeliche Landt-Schuel“ war humanistisch ausgerichtet, das Gymnasium führte Griechisch als Fach ein. Mädchen wurden keine aufgenommen, da Frauen keine Führungskräfte waren. In der Gegenreformation wurden die protestantischen „Landschaftsschulen“ geschlossen, in den Jesuitenschulen unterrichteten nunmehr akademisch gebildete Lehrer. Der Abschluss berechtigte zum Universitätsstudium. Aufnahmsprüfungen und Geschlechtertrennung waren obligat. Zunehmend übernahm aber der Staat die Kontrolle des Schulwesens. Schließlich wurde der Jesuitenorden 1773 durch den Papst aufgelöst.
In der nun einsetzenden Zentralisierung des Schulwesens, in der staatlich-obrigkeitlichen Phase, übernahmen die Piaristen die Aufgaben der Jesuiten. 1760 wurde mit der Studienhofkommission ein Unterrichtsministerium geschaffen. Haupt- und Trivialschulen sorgten in jeder Pfarre für die Volksbildung, die sechsjährige Unterrichtspflicht wurde obligat. Für die Schulaufsicht sorgte noch immer die Kirche, deren Einfluss aber durch das Konkordat von 1855 unter dem Einfluss der deutschnationalen und liberalen Kreise zunehmend zurückgedrängt wurde.
Ab Mitte des 19. Jh. setzt die staatlich-parteipolitische Phase ein. Dabei differenzierte sich das heute noch im Großen und Ganzen gültige Schulwesens heraus, wobei sich Christlichsoziale und Sozialdemokraten in der Ersten Republik gegenseitig blockierten, und so blieb es auch in der Zweiten Republik, bis mit den Schulgesetzen 1962 endlich ein Kompromiss zwischen ÖVP und SPÖ gefunden wurde. Dabei wurde mit der Einführung der Pädagogischen Akademien auch ein neuer Weg in der Lehrerbildung beschritten.
Die gegenwärtige Situation nennt der Autor die parteipolitisch-interessensorientierte Phase. Dabei zeigt er wie schon in seinem 2014 erschienen Werk „Unendlicher Streit durch die Jahrhunderte“ die Entwicklung der letzten Jahrzehnte auf, wo es – wieder einmal – um den Versuch einer Vereinheitlichung des Schulwesens geht.
In der Zusammenfassung und im Ausblick geht Engelbrecht noch auf die Problemfelder der heutigen Schule ein: heterogene Schülerpopulationen, differenziertes Schulwesen, Ganztagsschulen und Lehrerausbildung. Und er schließt mit der Feststellung, dass nicht die Organisation oder gesetzliche Vorschriften die Qualität der Schule ausmachen, sondern der Einsatz verantwortungsbewusster Lehrkräfte, die ihrer Erziehungs- und Lehraufgabe mit großem Einsatz nachgehen.
Helmut Engelbrecht hat mit seinem letzten Buch sein Lebenswerk abgerundet und vollendet. Er hat uns ein wichtiges Werk hinterlassen, das die komplexe Dynamik der Entwicklung des österreichischen Schulwesens nachzeichnet und verständlich macht. Allen, die in der Diskussion im Bildungswesen kompetent mitreden und Argumentationslinien verstehen wollen, durchaus zur Lektüre zu empfehlen.
Johann Sohm
Helmut Engelbrecht: Schule in Österreich. – Die Entwicklung ihrer Organisation von den Anfängen bis zur Gegenwart. 262 S. – new academic press, Wien 2015